Nur fotografiert
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Nur fotografiert

Nur fotografiert

»Für einen Moment versuchte Carl, sich mit den Augen Effis zu sehen: das lange, wirre, nur halb gekämmte Haar, die Lederjacke, die Zigarette in der Hand, die weichen, ernsten Wangen (irgendwie einsam, aber nicht leidend), das Schwarz unter den Fingernägeln, wahrscheinlich vom Kohlenausgraben, und dann: dieser Schnauzbart, seine zählbare Anzahl pubertärer Härchen, die alles (einfach alles) lächerlich machten. Wie konnte Effi Kalász mit jemandem zusammen sein, der so aussah?
Spätestens So-nie hätte es ihm sagen müssen (›Rasier dich doch mal‹ oder ›Vielleicht rasierst du dich erst‹, irgendetwas in der Art), aber er hatte nur fotografiert, mit Licht, ohne Licht, stehend, sitzend, im Flur, in der Küche und vor einem Bild in seinem “Studio”, einer vergrößerten Szene aus dem “Weltuntergang” von Hieronymus Bosch – warum auch immer. Er sieht mich als Teil des Martyriums, dachte Carl. ,Carl Bischoff mit Schnauzbart vor dem Jüngsten Gericht‘ war das Foto, das der Verlag ausgewählt hatte.«

Lutz Seiler, »Stern 111«, Auszug

Bildrechte: Andreas Münstermann

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