Havelnacht

Auszug aus dem Nachwort zu »Havelnacht«:

Die stärksten Porträts des Dichters Peter Huchel (1903-1981) verdanken wir dem Fotografen Roger Melis (1940-2009), dessen Landschaftsaufnahmen in »Havelnacht« erstmals neben Gedichten Huchels zu entdecken sind. Das Porträt Peter Huchels, das dem Nachwort dieses Bändchens vorangestellt ist, zeigt den Dichter im Jahr 1969, sieben Jahre Isolation und Überwachung im Wilhelmshorster Hubertusweg südlich von Potsdam liegen zu diesem Zeitpunkt hinter ihm. Roger Melis, der im Haushalt Peter Huchels aufgewachsen war, fotografierte den Dichter auf seinem Holzplatz hinter dem Haus.

Huchels Holzplatz als Ort des Porträts war von gefällten Robinien begrenzt, die der Dichter seine Sitzbalken nannte, der übliche Ort für die Stunden im Freien. Zwar hatte man auch einen kleinen Tisch eingerichtet, zwei drei Bretter, genagelt auf eine abgesägte Akazie weit hinten am Wald, damit der Dichter auch im Garten ungestört arbeiten konnte, aber dort soll Huchel nur selten gewesen sein – so jedenfalls erinnerte sich Roger Melis, als er mir an einem Septembertag im Jahr 2002 vom Leben und Arbeiten in jenem Haus erzählte, in dem er seine Kindheit verbracht hatte. Melis, dessen Ausnahmestellung als Fotograf der Kriegsgeneration (nicht zuletzt als Chronist eines verschwundenen Landes namens DDR) längst unbestritten ist, hatte sich in den sechziger Jahren als Porträtfotograf einen Namen gemacht. Nach seiner Lehrzeit in einem Potsdamer Fotostudio arbeitete er als wissenschaftlicher Fotograf an der Berliner Charité, später als Modefotograf, Bildreporter und Theaterfotograf. Zum Kernstück seines Werks aber wurde die Kunst des Porträts, die mit einer Serie von Schriftstellerporträts ihren Anfang nahm, zu der letztlich auch die Aufnahme Huchels in seinem Garten gehörte.

Hinter dem Holzplatz und Huchels »Sitzbalken«, jenseits des uns im Porträt überlieferten Bildausschnittes, lag ein massiver Schuppen, den der Dichter als Katzenquartier, Werkzeuglager und für Teile seines »Sinn-und-Form« Archivs benutzte – Kisten voller Zeitschriften, Korrespondenz und eingesandter Manuskripte. Bis auf Reste verschwand das Archiv nach dem Tod des Freundes Erich Arendt, der nach Huchel im Haus am Hubertusweg wohnte – vor seiner Ausreise in den Westen im April 1971 hatte Huchel ihm das Haus als Wohn- und Schreibort überlassen.

Der Dichter Arendt soll Huchels Werkzeugschuppen nie betreten haben. Er war kein Mann des Werkzeugs und, anders als Huchel, nicht verbunden mit der Vorstellung, in einer ländlichen Wirtschaft zu hausen, sei es auch nur, um eine Nähe zu halten zu den dörflichen Materialien und Verrichtungen, von denen das Schreiben in der Erinnerung ausgegangen war. Einen »Hof des Gedächtnisses, daselbst Himmel, Erde und Meer gegenwärtig sind«, hatte Huchel mit Augustinus in einer Rundfunk-Selbstanzeige von 1932 für sich reklamiert. Dass daraus ein märkischer Hof geworden sei, mache ihn nicht weniger weit und grenzenlos, schrieb Huchel 1963 in einem Dankbrief an die Westberliner Akademie, die ihm den Fontanepreis verliehen hatte. Auch andere wie William Faulkner, Seamus Heaney oder Les Murray sind später auf das Land gezogen, das ihr Schreiben bereits bewirtschaftet hatte. Als Peter Huchel zu Beginn der fünfziger Jahre Haus und Garten im Hubertusweg erwarb, war die landnam lange abgeschlossen, eine Heiligung des Landes, die nach Joseph Campbell darin besteht, dass man in den Gestalten der örtlichen Landschaft die mythischen Bilder erkennt.

Huchels landnam geschah früh, im Wilhemshorst benachbarten Dorf Alt-Langerwisch verbrachte er die wichtigste Zeit seiner jungen Jahre. Die Bildwelt dieser Kindheit auf dem märkischen Land bildete den Quellgrund, aus dem sein Schreiben ein Leben lang schöpfen konnte …


Peter Huchel: Havelnacht. Mit Fotografien von Roger Melis. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Lutz Seiler. Bildauswahl: Mathias Bertram

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