Die entscheidenden Deals

Die entscheidenden Deals

Die Buchmesse in Leipzig ist »abgesagt«. Die großen Deals der Buchbranche, heißt es, werden in Frankfurt oder London gemacht. Was soll das bedeuten? Normaler Kapitalismus, ja. Die Bürokraten in den Konzernen haben nochmal nachgerechnet und dann entschieden. Und ja: Auf der Leipziger Messe ging es vielleicht nie um die großen, aber um die entscheidenden Deals im Leben.

In Leipzig hatte ich meine ersten richtigen Lesungen, während der Messe. Eine am Original-Schreibtisch Hans Henny Jahnns, anlässlich einer Jahnn-Ausstellung, 1995. Im Jahr darauf waren wir mit unserer selbstverlegten Zeitschrift »moosbrand« nach Leipzig eingeladen. Wir waren so aufgeregt (und glücklich), dass wir die Autobahnabfahrt verpassten. Als links und rechts die ersten thüringischen Hügel zu ziehen begannen, fragte Elke Erb, die als Autorin des aktuellen »moosbrand«-Hefts von Berlin her mitgefahren war, ob wir wirklich noch richtig wären. Am Abend dann ein großes Publikum und Neugier – auf eine Zeitschrift, die kaum einer kannte.
Auch die anderen Zeitschriftenmacher waren da, ich erinnere mich an die beiden damaligen Redakteure der Leipziger Zeitschrift »Edit«, Jana Hensel und Jo Lendle. Ein paar Jahre später bekam ich in einem ziemlich tristen Gelände zwischen den Messehallen, wo es nichts gab, nur ein paar Rohre, auf denen wir saßen und rauchten (der Lektor Thorsten Ahrend und ich), meinen ersten Vertrag, per Handschlag, Frühjahr 1999. Im Jahr darauf erschien »pech & blende«, mein erstes Buch im Suhrkamp Verlag.

In Leipzig passierten immer die entscheidenden Dinge. Als ich 2010 mit Erzählungen für den Preis der Leipziger Messe nominiert war, hatte ich das erste Mal im Leben Pressetermine. Erschöpft saß man dann in einer Art Hinterhof, den die Stände von Hanser, Fischer und Suhrkamp gemeinsam bildeten, also dort, wo die Bücherkisten standen, daneben Kataloge, Wasserflaschen, Mäntel und Rollkoffer. Hier fanden die eigentlich wichtigen Begegnungen statt. Michael Krüger, der damalige Chef des Hanser-Verlags, saß dort auf einer Kiste und erklärte, wie alles laufen wird, falls ich den Preis bekomme (ich bekam ihn nicht), und während er redete, griff er in die Innentasche seines Sakkos und zog eine Schokolade hervor, in hellblaues Papier eingeschlagen – und verteilte sie.

Feine Verlegerschokolade in hellblauem Papier. Etwas wurde damit besiegelt, etwas sehr Gutes, das nicht so leicht zu beschreiben ist, aber den Kern dessen berührt, was früher einmal Literaturbetrieb hieß: Ein Deal zwischen Menschen mit jeweils ganz eigenen Interessen, die sich, davon abgesehen, einig sein konnten in einer besonderen Beziehung zu ihrem Produkt, die man auch Liebe nennen könnte. Dieser irrationale »Überschuss« hat auf den ersten Blick nichts mit den »nackten Zahlen« zu tun, schlägt sich dort aber nieder, und zwar in jedem Fall, mittel- oder langfristig. Das weiß jeder in diesem Betrieb. Gerade das, was für die Bürokraten in den Großkonzernen »nicht quantifizierbar« ist, macht immer wieder den Unterschied und wird entscheidend sein, wenn es um die Zukunft dieser Ware geht. Was ich gern vorschlagen möchte: Da ihr keine Liebenden seid, lasst doch die Finger vom Buch und verkauft Toilettenpapier.

Dieser Text erschien zuerst in der Wochenzeitung DIE ZEIT vom 17. Februar 2022.


Zeichnung links: »Pegersuss«, Max Gogolin

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